Geschichte des Schlossguts
Die Ursprünge
Finowfurt ist jung. Erst 1929 werden die Dörfer Schöpfurt und Steinfurt, heute dem Landkreis Barnim und der Gemeinde Schorfheide zugeordnet, zusammengelegt, und es entsteht die Ortschaft, benannt nach dem Flüsschen Finow. Der Bau des „Schlossguts“, so wird angenommen, reicht in die Zeit der Dorfgründungen im Mittelalter zurück. Wie überall in Brandenburg ist die durch Eiszeitgletscher geformte Landschaft voller Sümpfe, Wälder und Flussauen seinerzeit nur dünn besiedelt. Schon vor dem 6. und 7. Jahrhundert, als slawische Stämme einwandern, haben Germanen hier gelebt. Der Kontakt zwischen den Volksgruppen gestaltet sich durchaus nicht immer kriegerisch; die beiden Kulturen vermischen sich, wobei die slawische Sprache zunächst dominiert. Ukrer, Sprewanen, Heveller … Die Namen der Stämme spiegeln Ortsbezeichnungen wider, die bis heute dechiffrierbar sind.
Von Herzögen, Fürsten, Markgrafen und Lokatoren
Ab dem 12. Jahrhundert verstärken gleich mehrere Herrscherhäuser ihre Anstrengungen, das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen: Pommersche Herzöge, Polnische Teilfürsten, Meißener Markgrafen, der Erzbischof von Magdeburg und natürlich die Askanier, die ihren Einfluss für lange Zeit durchsetzen sollten. 1157 lässt der Markgraf von Brandenburg havelaufwärts und durch das Tal der Finow in Richtung Oder marschieren. 1230 gehören Teltow und Barnim zum Brandenburger Machtbereich. Zu der Zeit leben schon deutsche Bauern in der Gegend. Systematisch besiedelt wird das Land aber erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts: Sogenannte „Lokatoren“ werben im Westen des Reiches Auswanderer an und bringen sie in ihre neue Heimat. Anreiz zur Umsiedlung: eine Hufe für jeden Neusiedler, also eine Fläche von 7 bis 10 Hektar für Haus, Hof und Äcker. Muss gerodet werden – das ist häufig der Fall – kann die Grundfläche sogar doppelt so groß bemessen werden.
„Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“
Dieser überlieferte Spruch gibt eine Ahnung von der ungemeinen Härte der Bedingungen. Haben die Lokatoren erfolgreich Bauern angesiedelt, bekommen sie zur Belohnung einen Freihof, sprich sie müssen dafür keine Abgaben bezahlen. Außerdem gehören mehrere Hufe dazu. Jetzt sind sie Erbschulzen und damit Dorfvorsteher, die Privilegien erhalten, etwa für den Ausschank, zum Backen, zum Fischen.
Die Bauernfamilien leben freilich nicht unbehelligt von der Obrigkeit; neben dem Zehnten für die Kirche müssen sie Zinsen und Abgaben an die Markgrafen entrichten. Ritter gibt es überdies; da sie Waffendienst leisten, erhalten sie ihr Lehen kostenlos. Analog hierzu bekommen auch die Erbschulzen ein Lehen; im Kriegsfall müssen sie dem jeweiligen Ritter ein „Lehnpferd“ zur Verfügung stellen. Noch unter den Bauern rangieren die „Kossäten“, Landarbeiter ohne eigenen Besitz.
Und die Slawen? Werden jetzt Wenden genannt. Soweit sie nicht ununterscheidbar in der Bevölkerung aufgegangen sind, haben sie Anteil an den genannten drei Schichten – aber nur, wenn sie die christliche Religion annehmen. Auf Volkszugehörigkeit kommt es dabei nicht an, allerdings wird die Verkehrssprache nun Deutsch. Mancherorts existieren noch rein wendische Dörfer, wo die traditionellen Riten gepflegt werden; die Bezeichnung „Kietz“ ist heute noch bekannt, wird aber, zumindest in Berlin, mit etwas verschobener Gewichtung verwendet.
Das Urstromtal
Geographisch ist von Interesse, dass die Finow, auch Fine, aus mehreren Gewässern gespeist wird – drei „Fließen“ und zwei Seen – und im sogenannten Eberswalder Urstromtal weiterfließt: Voraussetzung für den Finowkanal. Südlich liegt „Schöpfurth“, wahrscheinlich schon um 1200 gegründet und 1375 zum ersten Mal erwähnt. 26 Hufen werden zu dieser Zeit bereits dazugezählt. Es ist überliefert, dass jede Bauernfamilie zwei Hufen besitzt; außerdem wohnen fünf Kossäten, sechs Jäger und ein Krüger im Ort. Besagtes Lehnschulzengut liegt an der Straße von Finow nach Finowfurt. 1595 wird es zum ersten Mal im Erbregister erwähnt, verwaltet von einem Lenze Wegener. Ein Joachimus Wegener aus Schöpfurth studiert bereits 1570 in Frankfurt an der Oder; daraus können wir schließen, dass die Lehnschulzen vermögende Leute waren.
Der Krieg und seine Folgen
Der Dreißigjährige Krieg verschont auch die Dörfer im Finowtal nicht. 1631 heißt es, dass drei Regimenter aus dem Heer des Gustav Adolf von Schweden „großen Schaden“ anrichten. Zu dieser Zeit hat ein Matthias Wegener als letzter der Familie das Lehnschulzenamt inne. Von 1650 bis 1805 bestimmt die Familie Gielsdorf die Geschicke auf dem Gut. Einige Namen ragen aus der Geschichte hervor: 1678 Gottfried, 1759 Martin, dann noch einmal ein Gottfried (1730 geboren) sowie Ephraim Gielsdorf der Ältere, der 1763 oder 1764 das Licht der Welt erblickt.
Nach dem Krieg ist das Land verheert und fast menschenleer. Außerdem macht sich der Absolutismus breit; die Fürsten verlangen enorme Abgaben – von wem eigentlich? Da kaum mehr jemand am Leben ist, der sie entrichten könnte, werden nunmehr Hugenotten von Brandenburg angeworben; sie bringen die Uhrmacher- und die Webkunst mit, die Böhmen die Glasbläserei, aus Holland kommen Papierspezialisten. Die meisten sind aber immer noch Bauern. 1678 erscheint eine Schrift des Juristen Friedrich Müller, wo unter Vollfreien (pleni liberi), gemeinen (coloni) und leibeigenen Bauern (servi) unterschieden wird. Von Gebiet zu Gebiet existieren jedoch enorme Unterschiede.
Lehnschulzen und ihre Nachfolger
Für die Lehnschulzen verbessert sich die Lage zusehends. 1717 lässt Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, der niemals einen Krieg geführt hat, die Allodifikation verkünden: alte Verpflichtungen wie das Lehnpferd fallen weg, stattdessen wird eine (geringe) Steuer erhoben. Die Lehnschulzen genießen nunmehr bürgerliche Freiheitsrechte, müssen aber auch die damit verbundenen Gefahren in Kauf nehmen. Mit dem Preußenkönig Friedrich II., kommen wieder Kriege ins Land. Die Einwohnerzahl schwindet entsetzlich. Da fällt dem alternden Monarch ein, zum Wohle der Bevölkerung und der Staatskasse Kanäle bauen zu lassen, zumeist, um Moore trockenzulegen. Auch der Finowkanal, bereits 1605 bis 1620 als Verbindung zwischen Oder und Havel angelegt, wird renoviert und verlängert.
1773 sieht die Bevölkerung in Brandenburg so aus: Es gibt Frei- und Erbzinsbauern, wozu auch die Lehnschulzen gehören; außerdem unterschiedlich abhängige Bauern oder „Hüfner“, schließlich die Kossäten, auch Büdner und Einlieger, die, insofern sie überlebt haben, ein wenig vom Bevölkerungsmangel profitieren und schließlich das Gutsgesinde, sprich Mägde und Knechte, Kutscher und Hirten. Ihnen gehört gar nichts, nicht einmal das Werkzeug zum Arbeiten. Noch immer besteht das Feudalrecht. Der Begriff „zweite Leibeigenschaft“ kommt auf. Erst mit Napoleon, 1807, wird diese endlich aufgehoben.
Damit ist für die Gielsdorfs die Lehnschulzenzeit vorbei. Zunächst verpachten, dann verkaufen sie das Gut. Der Bauer Martin Kuhlicke wird zum stellvertretenden Schulzen ernannt. Marktwirtschaftlich gesehen wird es nun schwierig, einen derartigen Betrieb zu führen; dies bedingt den häufigen Besitzerwechsel im 19. Jahrhundert. 1825 legt der Lehnschulze Baatz sein Amt nieder, es folgt Schiffsbaumeister Bartholdy, 1833 Bauer Sägebart, 1835 Gutsbesitzer Borchert, 1840 Ziegeleibesitzer Angern und 1855 Leopold Helbing. Das Gut misst nun 127 Hektar, was 12 Hufen entspricht.
Wechselnde Besitzer
1862 wird O. von Kutschenbach neuer Schulze, verkauft aber bereits 1864 weiter an den Rentier Schiemann. Dieser bezahlt immerhin 37.000 Taler, ist aber in Schöpfurth kein Schulze. 1866 ersteigert ein Herr Aston aus Eberswalde das Anwesen, zwei Jahre später folgt die Familie Backes, die immerhin bis 1910 am Ort bleibt; allerdings sind sie seit 1872 keine Lehnschulzen mehr. Bis 1916 wird die Familie Mittag Gutsbesitzer. Ihnen folgt der erste überregional prominente Name: von Arnim. Diese lassen den Schlossbau, wie er heute noch existiert, errichten. 26 Zimmer zeugen von gehörigem Wohlstand. Doch auch damit ist es in Zeiten des Ersten Weltkriegs bald vorbei. Rittmeister a.D. von Zastrow übernimmt. 1920 kommt es zu einer Teildemokratisierung: Die Genossenschaft „Eigene Scholle“ erwirbt die Sandflächen Richtung Finow und Grafenbrück und parzelliert sie. Dem „Restgut“ verbleiben 90 Hektar.
Bis 1938 wechseln Schloss und Land so häufig den Besitzer, dass man in Finowfurt dazu übergeht, sich die Namen gar nicht mehr zu merken. Jetzt kommt die Feuerwehr, genauer die Reichsfeuerwehr. Nach der Reichswehr übernimmt die Rote Armee Teile des Geländes. Zeitgleich entsteht ein staatlicher Tierzuchtbetrieb; das „Volksgut“ wird aus der Taufe gehoben, bearbeitet von der „LPG Typ III Finowtal“, ab 1973 von der KAP Lichterfelde. Die VEG baut neue Ställe für 600 Kühe. Östlich von Schöpfurt entsteht 1969 eine Anlage für 140.000 Legehennen. Und ein Unterhaltungsfilm wird gedreht!
Verwildert und verlassen
Mit dem Ende der DDR geht auch die Landwirtschaft auf dem Volksgut zugrunde. Schon 2005 wird das Schlossgebäude als „völlig verlassen“ beschrieben. Die Fenster sind „mit Blechplatten vernagelt“, Warnschilder werden angebracht, „eine verwilderte Baumgruppe verdeckt den imposanten Mittelgiebel.“ Dafür beanspruchen ringsum, wie jetzt überall in den „neuen Bundesländern“, die Bau- und Billigmärkte riesige Flächen und verändern die Landschaft ohne Rücksicht auf Tradition und Ästhetik.
So hätte die Geschichte des Schlossguts enden können wie an so vielen Orten geschehen: Verfall bis zur Renovierungsunfähigkeit … dann kommt der entsprechende Investor und reißt alles ab. Die sichtbare Überlieferung wäre damit zu Ende gewesen.
Dornröschen erwacht
2015 entschließt sich die Gemeinde zum Verkauf. Uwe Tietz und Kai Moslé sind die damligen Erwerber. Fünf Jahre später hat die die historische Stätte noch einmal Glück: Tami Lee und Marc Lorenz, in zehn Ländern rund um die Welt zu Hause und für renommierte Hotels tätig, suchen nach einem eigenen Projekt. Während der Bauarbeiten zu dem Hygge-Hotel „Lulu Guldsmeden“ in Berlin verlegen sie ihr Außenbüro in ein Café. Dort lernen sie Uwe kennen. Der Spediteur, Erzieher, Taxifahrer, Lüftungsmonteur, Immobiliengutachter und bis heute aktiver Geschäftsführer einer Schweizer Immobiliengesellschaft berichtet von dem verlassenen Schlossgut. Und er steckt das Hotelierspaar mit seiner Begeisterung dafür sogleich an. Die beiden übernehmen die Anteile von Kai und steigen in das Projekt ein. Ein Naherholungsbiotop wird entstehen, ein Öko-Hotel mit regionaler Küche, eine Konferenzstätte und ein generationenübergreifendes Wohnprojekt noch dazu: Raum für Kontakte und gegenseitige Anregungen.
Es geht also weiter und – im Gegensatz zu früher – sollen nun alle etwas davon haben: von diesem wundervollen Ort und seiner einzigartigen Atmosphäre.
Johannes Hucke